Georg Apfel

 

 

Lieber Herr von Linprun, 
Das“ lieb“ in der Anrede möchte ich ganz besonders betonen, denn was Sie von mir jetzt zu hören bekommen, könnte in Ihnen vielleicht einen Zweifel daran wecken, ob dieses „lieb“ eine Berechtigung hat. Es hat sie, glauben Sie mir bitte. (Aber Sie wissen das ja ohnehin!)

Mein längeres Schweigen hat den Grund, dass ich mit dem Eindruck, den Ihre neuen Arbeiten, und da beziehe ich die zweite Serie der Siebdrucke mit ein, auf mich machten und machen, nicht zu Rande gekommen bin und immer noch nicht zu Rande komme. (Das sehe ich zunächst durchaus positiv. Vieles verstehen wir nicht gleich auf Anhieb, vieles erschließt sich uns erst nach und nach. Vieles, was zunächst unser Befremden auslöste, macht uns mit der Zeit zu glühenden Bewunderern.) Andererseits fällt es mir schwer, Eindrücke, nicht Urteile, zu äußern, die Sie möglicherweise unangenehm berühren.

Wenn ich alle diese Eindrücke in einem Satz zusammenfassen müsste, würde der lauten: Ihre  neuen Arbeiten sind mir „zu schön“.
                                          
Ich will mich näher erklären:

Es ist ja immer so, dass Ihren Arbeiten eine gewisse „feste“ Struktur zugrunde liegt. Diese feste Struktur jedoch geriet aus der dem Festen innewohnenden Dialektik heraus ins Wanken, in Bewegung, in ein Spiel mit sich selbst (vgl. Prägedrucke), oder später, in den unter dem Oberbegriff „Chaotik“ fungierenden Schöpfungen, in eine Opposition mit einer komplexen Fülle von Farben, Formen, Flächen, Räumen. Die so angerührte „Ursuppe“ ließ das Feste, die ordnende Struktur, fast vergessen oder gebar aus dem Zusammenwirken der disparaten Formen und Farben mit der starken festen Struktur eine neue Welt, die aber nie zu einem starren Tableau gerann, sondern „fortzeugend“ neue Welten entstehen ließ. Der Betrachter war Teilnehmer an diesem Prozess und zugleich ein von ihm  Betroffener. (Ich möchte anmerken, Herr von Linprun, dass ich nicht urteile, sondern nur versuche, meine Empfindungen und Eindrücke beim Betrachten Ihrer bisherigen Arbeiten, besonders derjenigen, die ich mein Eigen nennen kann und die mich tagtäglich aufs Anregendste beschäftigen, darzulegen.)

Genau diese Lebenskraft, diese Fruchtbarkeit, diesen schöpferischen Reichtum vermisse ich in den neuen Arbeiten, bzw. ich bin hin- und her gerissen zwischen Befriedigung  (- denn alle bisherigen Elemente Ihres Schaffens sind ja da und in Anwendung gebracht, schöner und perfekter denn je! -) und einer Art fast unwilliger Ablehnung.

Woran liegt das?

Warum kann ich mich mit diesen Bildern und all ihrer Farbenpracht, all ihren optischen Reizen, ja Vexationen, nicht dauerhaft, sondern nur sporadisch, vorübergehend, mit dem einen mehr, dem anderen weniger anfreunden? Warum finde ich die Kraft, vor der viele Ihrer bisherigen Bilder schier zu bersten schienen, in keinem der neuen? Warum empfinde ich die Bewegung, die die zu Würfeln sich formenden Rauten erzwingen und die gewissermaßen konkav-konvex hin und her sich schieben, als so merkwürdig starr, ja fast unbewegt? Warum erscheinen mir die zitierten  Engelsflügel, die sich zu Blüten oder symmetrisch gespaltenen Blättern formen, so dominierend und gleichzeitig monoton? Ich bin ganz unfähig, diese meine ambivalenten Eindrücke zu begründen. Ich kann nur rätseln, nur spekulieren. Vielleicht müsste man die Bilder real vor sich sehen, nicht als Fotos auf dem Bildschirm? Wenn ich sie vergrößere, sehe ich in den Segmenten zunächst die alte, vertraute Kraft, die dann aber gleich wieder gefesselt wird durch eine dominant auftrumpfende
Engelsflügelkurve oder Gerade aus der Raute oder einer Würfelkante. Möglicherweise ist das gewollt?

 Ich glaube, das, was mich bedrückt trotz all der farbenfrohen Heiterkeit und der
freundlichen Assoziationen einer mit Engelsflügeln beblümten Weltwiese, die sich oft spontan einstellen, das, was mich bedrückt, Herr von Linprun, ist eine
bewusste oder unbewusste Abkehr oder der Ansatz zu einer solchen von Ihrer so großartigen „Chaotik-Erfindung“, die, wie ich meine, eine überwältigende Leistung darstellt. Die optisch entzückende Blumenwiese wirkt manchmal wie in Bernstein gegossen. Das farbige, chaotische Hintergrundleben wird fast gewalttätig in ein Raster gepresst, gemaßregelt, gefesselt, gebunden, immobilisiert, arretiert. Die Geometrie dominiert mit ihrem Kettennetz und sorgt für Statik, für Ruhe, für einen schönen Schein. Es summt und brummt nichts.

Möglicherweise tue ich Ihren Bildern Unrecht, und Ihnen auch. Das will ich wirklich nicht, lieber Herr von Linprun (und die Wiederholung des „lieber“ ist ganz unironisch gemeint!). Es ist mir ganz arg, so geschrieben zu haben, wie ich schrieb. Trotzdem: „Quod scripsi, scripsi“. Ich will es, muss es stehen lassen, denn ich will ehrlich sein. Außerdem hätte ich gar nicht die Kompetenz, als Kunstkritiker mich aufzuplustern und Ihre Bilder abzuurteilen. Ich habe nur versucht, meine Stimmungen, Gefühle, Eindrücke angesichts ihrer neuen Bilder zu formulieren. Naturgemäß werden die Sätze rein sprachlich und logisch zu Urteilen. Ich möchte aber unterstreichen, dass man, falls man den Ausdruck „Urteil“ benutzt, das Adjektiv „momentan“ hinzufügen muss. Ich sagte ja schon, wie sehr mich Ihre neuen Siebdrucke hin und her reißen  und durcheinanderbringen, wie in mir Bewunderung und Verstörung beim Betrachten sich abwechseln.
Vielleicht ergibt sich ja irgendwann die Gelegenheit, dass ich die Siebdrucke in Augenschein nehme. Wer weiß, was sich da alles ändert. 

Ich hoffe, Herr von Linprun, es geht Ihnen gut und Ihr Herz schlägt wieder so, wie es sich gehört.

Alles Liebe
Ihr Georg Apfel  

 

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